(Zweit-)Schrifterwerb

Das Vermitteln der Schriftsprache im DaZ-Unterricht erfordert eine gut überlegte Herangehensweise. In Vorfeld wird eruiert, ob es sich um eine Alphabetisierung oder um Zweitschrifterwerb handelt:

Abbildung 4: Mögliche Wege des Schrifterwerbs

Eine zeitgleiche Alphabetisierung in Deutsch und in der Erstsprache ist auf jeden Fall zu empfehlen, wenn diese im Rahmen des Unterrichts in der Erstsprache (Erstsprachenunterricht) oder eines externen Alphabetisierungskurses möglich ist.

Verfügt die Schülerin/der Schüler über Schrifterfahrung in der Erstsprache, so ist sie/er bereits mit Schriftlichkeit an sich vertraut. Die Erstsprache und ihr Schriftsystem beeinflussen dann die Vermittlung der deutschen Schriftsprache und die Lehrperson kann daraus entsprechende Bedarfe ableiten.

Schriftsprache anbahnen

Der Schriftspracherwerb erfolgt sowohl bei der Alphabetisierung als auch beim Zweitschrifterwerb in einer Sprache, die die Schülerinnen und Schüler noch gar nicht oder nur eingeschränkt beherrschen, was für die Lernenden und für die Lehrperson eine große Herausforderung darstellt – auch weil es dafür kaum spezifische DaZ-Schulbücher gibt. Entsprechende Angebote z.B. in Schulbüchern für die Alphabetisierung in der 1. Klasse werden an die Gruppe bzw. an die einzelnen Lernenden und ihre individuellen Bedarfe angepasst.

Die Schülerinnen und Schüler müssen für den Erwerb der Schriftsprache über grundlegende Kompetenzen verfügen:

Hören: Für das Schreiben ist das Hören Voraussetzung – die/der Lernende muss in der Lage sein, einzelne Silben und Laute zu erkennen und zu unterscheiden bzw. Wörter in diese zu zerlegen („Graphem-Phonem-Korrespondenz“). Die Lehrperson schult diese phonologische Bewusstheit mit entsprechenden Übungen, damit die Schülerinnen und Schüler mit der alphabetischen Strategie (siehe USB DaZ) das Schreiben von Wörtern beginnen können.

Hörverstehen/Sprechen: Eine grundlegende mündliche Sprachhandlungsfähigkeit bei den Lernenden ist ebenfalls Voraussetzung für den Schrifterwerb, wobei sich die Lehrperson der wechselseitigen Beeinflussung von Laut- und Schriftsprache bewusst ist (Schmidt & Fay, 2018). Sie kann das Hörverstehen bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Schrifterwerbs durch die regelmäßige schriftunterstützte Visualisierung von Sprache fördern. Neben dem regelmäßigen Einsatz von Wortkarten kann dies z.B. bei Vorleseeinheiten durch das Darbieten des Schriftbildes (in digitaler Form) geschehen.

Wortschatz: Die Schülerinnen und Schüler benötigen für die Alphabetisierung in der Zweitsprache bzw. den Zweitschrifterwerb einen gesicherten Grundwortschatz, den sie nicht nur verstehen („Verstehenswortschatz“), sondern auch aktiv anwenden können („Mitteilungswortschatz“). Eine Übung zum Reimen oder die Arbeit mit Anlauttabellen z.B. sind nur sinnvoll, wenn die Schülerinnen und Schüler die dafür ausgewählten Wörter kennen. Nur so ist es ihnen möglich, Reime zu identifizieren und die einzelnen Laute zu erkennen, durch die die Reimwörter sich voneinander unterscheiden. Die Lehrperson kann die Wortschatzerweiterung über ein erhöhtes passives Hörangebot, z.B. über mediale Zugänge wie Hörbücher, Audioaufnahmen (auch eigene Aufnahmen der Lehrperson), Hörstifte etc., unterstützen. Der Wortschatzaufbau kann jedoch auch parallel und durch die Analyse schriftlicher Wortformen gelingen, wenn z.B. die Verschriftlichung das Erkennen von Wortgrenzen unterstützt oder orthographische Markierungen die Aussprache von Wörtern sichtbar machen (Ofen vs. offen) (Schmidt & Fay, 2018).

Darüber hinaus führt der Weg zum Erstlesen und -schreiben im Kontext von Mehrsprachigkeit – wie auch bei Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Erstsprache – über Erfahrungen und Fähigkeiten im Bereich der Motorik (bei der Stiftführung) und über ein Verständnis für Schrift als Symbolsystem. Sprachen mit einer anderen Schreibrichtung als das Deutsche (lateinische Schrift) sind z.B. das Arabische und Hebräische (semitische Schriften), die von rechts nach links geschrieben und gelesen werden, oder das Chinesische, Japanische und Koreanische, die von oben nach unten und von rechts nach links geschrieben und gelesen werden. Die Lehrperson ist sich bewusst, dass selbst bei noch nicht alphabetisierten Schülerinnen und Schülern mit diesen Erstsprachen ein intuitiv anderer Zugang zur Schriftkultur bestehen kann (Buchaufschlagen, versuchte Schreib- und Leserichtung, Seitenwechsel, Stifthaltung etc.). Sie erfasst in Vorarbeit all diese Lernvoraussetzungen.

Eigene Fähigkeiten als Lehrperson einschätzen und verbessern

Für eine erfolgreiche Vermittlung der deutschen Schriftsprache benötigt die Lehrperson fachliches und didaktisches Wissen und Können. Sie benennt Besonderheiten der deutschen Schriftsprache explizit, wie z.B. die Auslautverhärtung (das Kind = /kint/) oder die Varianten des Graphems <e>, und verfügt über spezifische Lehrkompetenzen, wie z.B. die Fähigkeit, verschiedene Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit Schriftsprache im Unterricht zu berücksichtigen oder ihre phonologische Bewusstheit zu diagnostizieren.

Literatur

Schmidt, H. M. & Fay, J. (2018). Lesen- und Schreibenlernen in der Fremde – Eine Übersicht nationaler und internationaler Vorgehensweisen. https://www.leseforum.ch/sysModules/obxLeseforum/Artikel/629/2018_2_de_schmidt_fay.pdf